5 Sterne Charme
Ich liebe Werbung. Wenn ich nach einiger Zeit Fernsehgerät-Absenz-geschuldeter Fernseh-Abstinenz wieder tatsächlich vor dem Kasten der unglaublichen Geschichten sitze, freue ich mich richtig, wenn der Werbeblock kommt, und nicht nur, weil das rundherum arrangierte Programm so schlecht wäre. Nachmittags-TV widert uns an, aber mit so einer gewissen Geilheit, quasi: da muss man einfach hinschauen, weil man auch an den Socken nach einem langen Tag riechen muss. In diesen Socken steckt der Schweiß eines Arbeitstages, das kann nicht ungerochen bleiben. Und im Nachmittags-Scripted-Reality-TV steckt halt alles, was eine Gesellschaft grauslich findet, das kann nicht ungesehen bleiben. Schakkeline, hast du schon wieder den Nutella aufjejessen? Bumm-Zack Streit, Haare-Ziehen, weinen, hassen, Butter fassen.
Und dann: gleich gehts weiter. Die Erlösung ist da: Bunt, lustig, sexy, top gestyled, ganz ohne Achselhaaren im Frühstücksmett und manchmal sogar mit Grammatik: Werbung.

Das Schöne an der Werbung ist das Schöne in der Werbung. Da sind Dinge nicht nur sauber, sondern richtig richtig richtig rein. In der Werbung lernen wir was wir sonst niemals wissen würden, sie bereichert unser Leben. Ich liebe auch die Etiketten. Die Werbung lernt uns schon viel, aber diese Etiketten! Was da für Platz drauf ist, der mit Weisheiten gefüllt werden darf! Letztens hab ich eine Haar-Tönung gesehen. Halt dich fest: HD! Mit High Definition Intense Color! Wisst ihr noch, wie unangenehm früher das Tönen war, als es noch so pixelig war? Ich freu mich schon auf die 4K Tönung, weil wenn wir uns ehrlich sind, HD ist eigentlich schon wieder tot. Oh, und Spülmittel! Das war nicht nur ein billiges Handelsmarken-Remake, nein, es war auch noch „Ultra Original“. Wahrscheinlich war „Jetzt noch originaler“ sogar jenen zu blöd, denen eigentlich nichts zu blöd sein darf.
Auf der Roll-LED-Leiste des Bordells lese ich „5 Sterne Charme“, ich bin verzückt. Wie schrecklich uncharmant war doch letzten diese Dame mit nur 3 Sternen. Ganz ehrlich, wofür halten uns die Leute, die uns mit Text zuballern, der genau nämlich gar keinen Inhalt hat. Der Kioskforscher hat letztens Magazin-Titelblätter betrachtet: Seit nunmehr 16 Monaten brüstet sich da ein Blatt mit „Jetzt neu! 8 Seiten mehr!“, aber nicht, dass du jetzt glaubst, da wären jedes Monat 8 Seiten dazugekommen. Natürlich nicht.
Auch toll sind ja Dinge wie „Cheese-Flavour!“ , oder „Vanille*-Pudding!“, wobei letzteres ja mit dem Sternchen schon das Geständnis liefert, dass es sich um irgendwas handeln muss, dass mit echter Vanille nichts zu tun hat, ja, gar nichts zu tun haben will! Schließlich gehts um den Geschmack und es muss ja echt nicht immer Käse sein, wenn ich doch eigentlich nur den Geschmack von Käse toll finde.
Aber Spaß beiseite. Die Werbeindustrie bemüht sich redlich, uns ein gutes Gefühl zu geben. Und dann gibt es böse Menschen, die ihr das verbieten wollen? Eine hinterfotzige Lobby gegen das bisschen Glück, das wir Bürger uns doch wünschen, wenn wir mit Schokoriegeln gegen unsre Fettleibigkeit kämpfen!? Die EU nämlich, gemeinsam mit der EFSA, hat vor wenigen Jahren einen Großteil der Gesundheitsversprechen verboten. Jene nämlich, die nicht stimmen. Aber wie jetzt — Kinderschokolade hilft nicht beim wachsen? Ich aß sie und ich wuchs. Aber mit Logik kann man da nicht kommen. Vielleicht aber mit 5 Sternen Charme in HD?
