Vergangenen Sonntag wurde die Reichstagswiese zu einer symbolischen Grabstätte für die namenlosen Grenztoten. Das Zentrum für politische Schönheit rief zum Marsch. Die Flüchtlingsfrage ist komplex, ob sie sich als Polizei-Demonstranten-Duell klären lässt? Ich weiß nicht so recht.

Flüchtlinge sterben an den Grenzen der EU. Wenn das nicht so unmenschlich wäre, würde ich behaupten, dass das für ein Europa im 21. Jahrhundert peinlich ist. Es ist aber nicht peinlich. Es ist schlimm.

Die Toten kommen – So der Name des Aktionskunstwerks des „Zentrum für politische Schönheit“. Es werden tote Flüchtlinge, die in den EU-Grenzstaaten in Kühlhäusern lagern, ins Herz Europas gebracht und auf Friedhöfen beigesetzt.
Am vergangenen Sonntag sollte dazu in Berlin eine Friedhofsanlage bzw. Gedenkstätte angelegt werden. Nach einem „Marsch der Entschlossenen“ sollte ein Leichnam in einem Sarg vor dem Kanzleramt beerdigt werden, doch die Behörden ließen das nicht zu. Weder durfte ein Leichnam transportiert werden, noch durfte ein Bagger den Menschenzug begleiten, noch durfte die Endkundgebung vor dem Kanzleramt stattfinden.

Die Idee ist schön. Die unsichtbaren Namenlosen im politischen Zentrum sichtbar zu machen, funktioniert. Das ursprüngliche Bild, ein Friedhof vor dem Bundeskanzleramt, der es der Kanzlerin abverlangt, beim täglichen Weg zur Arbeit über Leichen zu gehen, ist Aktionskunst. Da muss man ja fast schmunzeln über diese wortspielartige Visualisierung.

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Die Reichstagswiese wird zur Gedenkstätte. Foto: meiersreisezummond.at

Der Marsch stoppt vor dem Kanzleramt, die Wiese vor dem Reichstag, die eigentlich abgesperrt ist, wird gestürmt. Symbolische Gräber werden ausgehoben, Kerzen angezündet, Kreuze aufgestellt. Ich bin überrascht. Eine der symbolhaftesten Wiesen Berlins wird mit dem Vorsatz, Gräber auszuheben, gestürmt, und die Polizei bleibt ruhig. Es wirkt, als gelinge das, was ich mir von der Aktion gewünscht habe: eine Trauerfeier. Das verdienen nämlich die Verstorbenen. Damit bleibt die Pietät gewahrt, man verfällt nicht dem reinen Aktionismus und die Botschaft wird trotzdem verkündet: Dort draußen – an unserer Grenze – sterben Menschen, wir dürfen nicht wegsehen.

Und dann immer die

Das Zentrum für politische Schönheit hat im Vorfeld sehr rege die behördlichen Auflagen verbreitet. Man spürt den Hohn. Wir dürfen keine Leiche mit dem Marsch mitführen? So kommt diese eben mit dem Boot! Wir dürfen keinen Bagger mitnehmen? So bringt Schaufeln und Spitzhacken mit!
Das passt nicht zu einem Trauermarsch, das passt nicht zur Aussage, das habe nichts mit Protest zu tun; es gehe ausschließlich um eine würdevolle Bestattung. Bei den tatsächlichen Bestattungen, die das Zentrum in Berlin organisiert, mag das der Fall sein. Am Sonntag wurde eine feindselige Stimmung angeheizt.
Es kommt zu Auseinandersetzungen. Es gibt ein Video, dass eine Polizei zeigt, die kurz hart eingreift. Die Provokationen einiger Demonstranten lassen sich erahnen. Es gibt sicherlich ein paar Polizisten, die das gut finden. Es gibt sicherlich auch Demonstranten, die das gut finden. Endlich!, so wirkt es, endlich zeigt die Polizei ihr wahres Gesicht.
Der Großteil der Polizisten ist konzentriert und bei Fragen sehr freundlich. Die meisten der Marschierenden sind ruhig, wollen ein kleines Zeichen für Solidarität hinterlassen, wollen tatsächlich der Toten gedenken. Und dann immer (beidseitig) die, die das nicht können. Damit schadet ihr der Sache. Die öffentliche Debatte wird umgelenkt. Heute, vier Tage danach, wird in den Medien (hauptsächlich) über die Eskalation und die Festnahmen berichtet (und über den finanziellen Schaden, der auf der Wiese angerichtet wurde). Da sind die Fronten klar: Der böse Staat (die böse Polizei) sperrt Trauernde ein. Die aggressiven Linken zerstören mutwillig den Vorgarten der Republik.

Borders kill

Wie die Staaten der Europäischen Union mit ihren Außengrenzen umgehen sollen, ist eine schwierige Frage. Ob die Abschaffung jeglicher Grenzen, wie dies von bestimmten Gruppen gefordert wird, tatsächlich der Weisheit letzter Schluss sei, weiß ich nicht.
Das Zentrum nimmt unter anderem die syrischen Flüchtlinge als Aushängeschild der gescheiterten Flüchtlingspolitik. Und hat damit nicht so unrecht. Flüchtlinge aus Syrien haben nämlich nicht per se ein Recht auf Asyl. Bürgerkrieg an sich ist kein Asylgrund.  Es kann allerdings subsidiärer Schutz gegeben werden, eine Art „Asyl auf Zeit“, das nach einem Jahr verlängert werden muss.

Refugees Welcome

Ach so. Ja eh. Foto: meiersreisezummond.at

Nun kann man sagen: Gut, dann ist das halt so. Manche bekommen Asyl, manche bekommen temporär Asyl, es gibt ja Gesetze, die das alles rechtsstaatlich regeln.
Und man wird überrascht: Es gibt für Flüchtlinge kaum einen legalen Weg nach Österreich. Es gibt kein Flüchtlings-Visum oder dergleichen. Asylanträge müssen aber im Inland gestellt werden.
Nur wenn der Flüchtling Angehörige in Österreich hat, der Flüchtling irgendwie ein Visum erhalten hatte oder minderjährig ist, oder der zuständige Dublin-Staat nicht für eine menschenwürdige Verpflegung sorgen kann oder sorgt, dann ist Österreich zuständig. Im letzten Fall, bzw. wenn ein vorhandenes Visum abgelaufen ist, bzw. in den vielen Fällen, wo nicht geklärt werden kann, welcher denn der erste Dublin-Staat war, ist der Asylwerber allerdings illegal hier. Das ist absurd.
Die Asylgesetze werden großteils erst angewendet, wenn Gesetze gebrochen wurden. Asylwerber müssen erst kriminell werden, damit sie überhaupt Asylwerber werden können, das verstört mich. Das ist so, als müsste ich selbst mit dem Auto zur Fahrschule fahren, um dort den Führerschein machen zu dürfen.
Ich muss sagen, ich bin ratlos. Ich verstehe, dass Asyl ein Recht ist, das nicht jedem Menschen zusteht. Aber Asyl muss ein Recht sein, dass jedem Menschen zusteht. Moment, jeder Mensch, der begründet befürchten muss, in seinem Heimatland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung, verfolgt zu werden, und sich deshalb außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will, der sollte auch Anspruch auf Asyl haben! Das hab ich doch irgendwo schon mal gelesen. Ach ja, im Asylgesetz.

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