Ich bin kein Volkswissenschaftler, auch kein Politologe. Ich bin kein Journalist und kein Grieche. Ich bin Mitteleuropäer, der sich auf Medien und Hirn verlassen muss, wenn er etwas von der Welt, von Griechenland, vom Finanzmarkt oder von sonstwo wissen und verstehen will.

Ich glaube, dass Menschen selten absichtlich die Unwahrheit sagen. Vielmehr glaube ich, dass Menschen gerne das sagen, was sie für richtig halten. Richtig hierbei als für den Redner als „wahr“ erachtet. Das ist naiv, ich weiß das.

Deshalb aber sind Debatten, die 180°-Meinungen enthalten, richtig interessant. Weil da (vermutlich) keiner sitzt und etwas behauptet, das er selbst nicht glauben kann. Und wenn jede Meinungsrichtung im Kopf des Redners Sinn ergibt, so kann man von einer objektiven Wahrheit kaum noch sprechen. Es muss unterschiedliche Zugänge geben, die unterschiedliche Werte unterschiedlich bewerten.

Die Debatte um Griechenland sei hier mal exemplarisch etwas näher betrachtet:
Da gibt es viele Werte. Da ist Stolz der Nationen, bzw. der Bürger jener Nationen, die den Griechen nun das Geld geben. Da ist die Forderung, dass die Griechen nun auch endlich mal was tun müssen, weil sie ja nur faul in der Sonne liegen. Da ist eine Art von wohlwollendem Sozialismus, der den Griechen eine Souveränität wünscht, die ihnen die Institutionen absprechen, da sind Ängste um den Wirtschaftsraum Europa und die Stabilität der gemeinsamen Währung, da sind Interessen von Banken und Investoren und da sind Verbandelungen von Politik und Wirtschaft, die sich mir nicht vollständig eröffnen (zumindest aber ist das Gefühl da, dass es die gibt).

Grexit

Auch ohne Griechenland denkbar? Die Euro-Zone Foto: meiersreisezummond.at

Wenn wir uns nun den Griechlanddiskurs ansehen, wird immer deutlicher, welchen Stellenwert die soziale Marktwirtschaft im Euro-Raum hat: Auf Wahlplakaten ist sie super, wenn Investoren um Geld fürchten, dann ist sie ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Wenn wir nun „die Griechen retten“, was wir ja — wenn wir uns die Medienberichterstattung zu Gemüte führen — gnädigerweise machen, so wird ja nicht der Grieche an sich gerettet. Es werden dem Staat Griechenland Kredite gegeben, die dafür aufgewendet werden, Staatsschulden gegenüber — teils privaten, teils staatlichen — Anlegern zurück zahlen zu können. Es wird also ein Kredit aufgenommen, um Kreditschulden zu tilgen. Das ist üblich, mit „retten“ hat das aber wenig zu tun. Die Kreditgeber bekommen ja auch diesmal wieder Zinsen. Diese Umschuldung bringt per se keine großen Vorteile, außer jenem, die laufenden Zahlungen gewährleisten zu können. Zugegebenermaßen, das ist nicht schlecht. Das soll verhindern, dass Investoren das Land meiden. Und Investoren sind wichtig.
Im Falle einer Insolvenz oder eines Schuldenschnitts ist es für Griechenland vermutlich kein allzu großer Unterschied, ob nun Geld von Investoren oder Geld aus Europa nicht mehr zu seinem Eigentümer findet, für Europa sieht das aber anders aus. Denn private Investoren sind dann aus dem Schneider, der Steuerzahler übernimmt das schon.
Als privilegierter Mitteleuropäer finde ich es nicht grundsätzlich schlecht, anderen Staaten zu helfen, auch finanziell. Aber als Steuerzahler finde ich es grundsätzlich verwerflich, Investoren, die Vermögen mit teils mehr, teils weniger riskanten Wertpapieren jeglicher Art machen, immer wieder vom Risiko zu befreien und Verluste auf die Allgemeinheit zu verteilen. Diese Devise („Gewinne privatisieren, Verluste verstaatlichen“) ist nicht neu, aber nach wie vor dramatisch.

Damit wären wir ja bei weiteren Themen, über die man auch mal reden sollte: In einem sozialen Wirtschaftsraum mit Weitsicht sollte es nicht notwendig (geschweige denn erwünscht) sein, für den schnellen Euro Staatsbetriebe zu privatisieren. Ein „Europa der Menschen“ (SPD), das „Chancen für alle“ bringt (CDU), liest sich schön auf Wahlplakaten, aber austeritätsoktroyiert Krankenhäuser zusperren? Seriously? Apropos Wahlplakate: „Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden.“ – Echt jetzt? Damit hätte sich die SPD eigentlich selbsttätig aus der Europapolitik disqualifiziert. Gut, die Verzweiflung war offensichtlich groß und Wahlplakate sind ja ohnehin nur Tag-Clouds der aktuellen Meinungsforschung. Das ist auch nicht neu, aber nach wie vor zum Genieren.

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