orf meins deins seins.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat’s nicht leicht. Zwangsgebühren, politische Verflechtungen und dann noch ein Programm, das in seiner Gesamtheit nicht gefallen kann. Warum braucht man ihn trotzdem? Und warum braucht man ihn genau deswegen?
Bei Sportgroßereignissen und im Wahlkampf ist alles gut. Ansonsten steht man als Befürworter des öffentlichen Rundfunks relativ schnell alleine da. Das Fernsehen ist dabei viel stärker betroffen als Radio. Ö1 hat in der Bildungselite seinen Platz gefunden, FM4 in der Jugendkultur und Alternativszene, Ö3 in der breiten Öffentlichkeit. Und (mit Ausnahme von Ö3) wird dieser Platz kaum von privaten Konkurrenten tatsächlich herausgefordert. Beim Fernsehen ist das anders. Hier vermischen sich einerseits die Interessen und Spartensendungen zu einem wilden Potpourri aus Mainstream, Lokal-Chronik, Infotainment, seichter Unterhaltung, kritischer Berichterstattung, Kabarett, Satire und Sport, andererseits ist die Konkurrenz (mitunter aus Deutschland) viel massiver (oder zumindest erfolgreicher).

Das ORF-Funkhaus, von hier senden Ö1 und FM4 Foto: meiersreisezummond.at
Ja, man kann den ORF kritisieren. Ja, viele Sendungen gefallen mir nicht. Ja, die Bundesland-Heute Sendungen wirken oftmals wie die Pressestellen der jeweiligen Landesregierungen. Ja, Two and a Half Men werden dem Bildungsauftrag nicht gerecht. Ja, die Zwangsgebühren nerven. Aber gehen wir mal einen Schritt zurück. Warum gibt es öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten?
Die frühen Fernseh- und Rundfunkanstalten waren stark geprägt von politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme. Fernsehen war das Sprachrohr der herrschenden Riege. Das war mitunter problematisch und sollte geändert werden. In Österreich wurde 1964 durch ein Volksbegehren der Wunsch artikuliert, den österreichischen Rundfunk ebenfalls aus seinen Abhängigkeiten zu befreien.
1967 folgte ein „Rundfunkgesetz“, 1974 wurde der ORF zu einer Anstalt öffentlichen Rechts. Es folgten Justierungen, das aktuelle ORF-Gesetz wurde zuletzt 2014 überarbeitet.
Gut, nun kann man auch sagen: Politische Abhängigkeit ist nun mal ein Problem, das vor allem bei staatsnahen Betrieben eine Rolle spielt, wofür also braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn es doch inzwischen ohnehin genug private Sender gibt und sich der freie Markt doch auch selbst regulieren kann? Die Sache ist die: Der freie Markt orientiert sich an der Nachfrage und Gewinnmaximierung. Und das ist der entscheidende Punkt, Denn der ORF ist nämlich verpflichtet für den österreichweiten Empfang von seinen Programmen zu sorgen und muss — unter anderem — politische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und sportliche Themen, Unterhaltungssendungen und die Vermittlung von Kunst, Kultur und Wissenschaft anbieten. Und dabei muss auf diverse Bevölkerungsgruppen und Minderheiten Rücksicht genommen werden (siehe § 4 Absatz 1 ORF-G). Deshalb gefallen mir viele Sendungen nicht, deshalb ist es aber wichtig, dass es sie gibt.
Sender, die wirtschaftlich abhängig sind und gewinnorientiert arbeiten (müssen), gibt es zur Genüge. Und hier reguliert sich der Markt dann überraschender Weise eben doch nicht zu qualitativen Meisterleistungen, sondern bombardiert uns mit künstlicher Aufgeregtheit, Scripted-Trash-TV, Promi-News und Shows, bei denen sich irgendwer blamieren muss. Nicht immer, nicht alle. Natürlich gibt es Ausnahmen, Sender oder Sendungen, die versuchen, Inhalte und Fragen aufzuarbeiten, Information zu verbreiten, oder mit Humor jenseits des Mann-Frau-Bashings zu unterhalten.
Es ist eine gewagte These, aber ich stelle sie hier in den Raum: Kann es sein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier Maßstäbe setzt?
Der ORF und die privaten Sender spielen auf derselben Wiese, sie beeinflussen sich gegenseitig, während erstgenannter gesetzlichen Limitierungen unterworfen ist, müssen letztere dem Markt gehorchen. In diesem Spannungsfeld müssen beide agieren und sich profilieren. Würde das Nischenfernsehen des ORF ausbleiben, ich hätte meine Zweifel, ob die Privaten aus Eigeninitiative dranbleiben würden.
Ich sehe wenig fern und wenn, dann gebe ich mich manchmal richtig gerne dem stumpfen Nachmittags-(Privat-)Fernsehen hin (auch den Werbepausen). Das gehört dazu, ebenso wie die obligatorische Burger-Pommes-Nuggets-Vernichtung alle paar Monate. Ich weiß, dass es nicht klug ist und mir nicht guttut, aber hey, in Maßen ist es zu verkraften. Es gibt aber ein paar Sendungen, die ich gerne sehe, weil sie mich unterhalten und/oder informieren, und die meisten entspringen einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (ORF, ZDF, ZDFneo, 3sat, arte,..) und nur ganz selten kommen sie aus dem privaten Bereich. Okay, „Demokratie. Die Show“ (Puls4) war schon lustig und ging so manchen Schritt weiter als die ORF-Satire-Shows bis hin zu den Grenzen des guten Geschmacks. Es blieb aber leider ein viel zu seltenes Aufblitzen einer polit-satirischen Szene im privaten Fernsehen, das mit den Satirikern im ORF (Wir Staatskünstler, Die 4 da) oder bei den deutschen Nachbarn (zB. die Anstalt) mithalten konnte. Und ja, auch so manche Diskussionsrunde im privaten Fernsehen bringt spannende Fragen aufs Tapet, die man im ORF vermisst.
Im Bereich der Nachrichten wiederum bietet die ZiB 2 konstant eine Qualität, die man vielerorts im deutschsprachigen Fernsehen vermisst.
Es ist nicht alles toll, was im ORF passiert. Die politischen Verflechtungen sind noch nicht überwunden, den US-Serien-dominierten ORF1-Nachmittag könnte man durchaus überdenken, Casting- oder Challenge-Formate wie Dancing Stars oder die Große Chance halte ich für stumpfes Show-Fernsehen, und warum es die Sendung ohne Namen nicht mehr gibt, verstehe ich nicht. Geschmäcker sind verschieden, die Gesellschaft ist vielfältig. Solange diese Vielfalt aber ihren verdienten Platz im Programm hat, solange ist der ORF auch meins.